Walther Menhardt
Österreichische Nationalbibliothek
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Der Roman
wurde am 18. 1. 2011 in der österreichischen Nationalbibliothek vorgestellt.
Beigetragen haben:
Der Verleger, Reinhard O. Cornelius-Hahn
Univ. Prof. Dr. Anton Reinelt
Univ. Prof. Dr. Gisela Gerber
Prof. Dr. Tomas Kubelik (Der Vortrag - pdf)
Aus dem Buch:
Es glitzert eine feine grüne Linie. Eine Kante ist es. Eine glitzernde metallische Kante und ein weißer Winkel, aber grauweiß im Dunklen.
So also: eingeliefert. Sie mussten es ja tun. Wenn einer immer wieder schwindlig wird. Neben dem Schreibtisch werde ich gelegen sein und Monique wird sich mit Schreck über mich gebeugt haben.
Das grüne Licht im Fensterwinkel. Draußen ist es dunkel. Ein Reflex des kleinen grünen Lichts an einem der Geräte, die mich jetzt verwalten. Ein stetes Licht, also laufen meine Funktionen noch.
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Er hieß Uhling.
Er ging über die Brücke, abends, als alle gingen.
Um diese Zeit greift die Sehnsucht an. Das Blut ist steif noch, dumpf, vom Gewirr des Belanglosen auf dem Tisch, und der Lärm und das Gerede klingen nach. Die Brücke führt über den Strom. Schwer quirlt er, und dunkel im kalten Wind. Beim Gang über die Brücke lösen sich die Glieder. Das Auge findet die Linie der schwarzen, hochragenden Pfeiler, die die Brücke tragen. Es freut sich über die Ferne, die es tags vermisste.
Knapp überm andern Ufer, durchs Gestänge der Brücke, leuchten die Farben des Abends. Darüber ist der Himmel dunkel und kalt. Der kalte Wind und die Farben bringen einen Schauer über den Körper. Besinnung kommt, Traurigkeit und Sehnsucht. Die Sehnsucht spricht vom Anfang und Ende des Lebens. Sie reißt den bangen Willen in gewaltigem Bogen über den trockenen kleinen Tag.
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Die Türe des Weinens habe ich noch, in den Räumen meines Ich. In diesen frühen Morgenstunden geht sie gerne auf. Mein Körper kann ja nicht mehr viele Tränen produzieren, aber doch noch spüren. Wenn der Himmel erst grau wird, hat der Tag noch nicht die vielen Türen der Notwendigkeiten aufgerissen, dann kommen auch leisere Stimmen zu Wort. Die Zunahme des Lichts ist sicher ein Auslöser. Die wachsende Helligkeit ist ein Symbol für Hoffnung. Und dann kommt die enttäuschte Hoffnung. Das sind die Tränen. Jetzt erscheint das Bild, wie Ermelinde damals - Lindis und Erml sagte ich gerne - , wie Ermelinde damals unten auf der Straße ging. Sie ging, hoch aufgerichtet, mit bestimmten Schritten, um nicht wiederzukommen. Ich war für das Leben an ihrer Seite nicht tatkräftig genug, nicht schnell genug. Ungeschickt war ich.
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Wenn ich Lindis so sehe, tritt mir das Wasser in die Augen, so liebevoll konnte sie sein, so einfühlsam. Zu mir war sie, jetzt wird mir das deutlicher als damals, beziehungslos, neutral. Warum ließ sie mich überhaupt ihren Mann sein! Einmal wurde sie zutraulich, nahm Zärtlichkeit gerne an, allerdings wusste sie davon nichts, sie schlief. Auf der anderen Straßenseite wurde damals gebaut und an einem Baukran leuchtete ganz oben ein Schild sehr hell. Dieses Licht fiel auf Ermelindes Wange. Sie lag neben mir, den Kopf zu mir gekehrt, auf dem Kissen. Sie schlief ruhig. Sie schien sich wohl zu fühlen, zufrieden zu sein. Lindis war kein unzufriedener Mensch, aber es kam doch kaum vor, dass sie in Zufriedenheit sozusagen ‚ergeben’ war. Ermelinde ergab sich nie, niemandem. Damals lag sie ruhig und, ich scheue das Wort, lieblich. Das Licht vom Schild des Baukrans hatte eine etwas zu harte Farbe im Dämmer des Zimmers. Trotzdem. Ich wollte ihren Schlaf ja nicht stören, aber ich war so erfasst von dieser – ich muss das Wort noch einmal verwenden: Lieblichkeit, dass ich ihr über das Haar strich und dann mit einem Finger über die Wange. Ich glaubte auf ihrem Gesicht die Andeutung eines Lächelns zu sehen, und sie streckte sich und lag noch entspannter. Sie lag auf der Brust, die Arme rechts und links, einer abgewinkelt, die Handfläche des anderen auf dem Leintuch. Der Rücken kam frei, und auch dort fiel etwas Licht. Ich störte sie sonst ja nicht im Schlaf, aber sie schlief so freundlich, so zutraulich, dass ich ihren Nacken berührte und leicht über die Erhebungen der Wirbel strich, die Schultern und das Rückgrat entlang. Weiß und glatt und makellos. Ich hatte ein unendliches Verlangen, sie zu umarmen. Aber ich störte den schönen Schlaf nicht. Vielleicht war das ein Fehler.
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Psyris kann zugreifen auf diese Schwerpunkte des Charakters. Ich kann heute noch das Gefühl in all seiner Intensität wachrufen, und rundum alle Empfindungen, die ich hatte, als ich damals aus dem kalten Fluss stieg. Ich höre noch, wie rechts von mir die Wellen über die Ufersteine leckten. Auch jetzt noch, wo doch mein Körper auf nichts mehr reagieren kann, spüre ich das kalte Wasser, das von mir abtropft und damit eine Haut meines Charakters abstreift wie eine altersspröde Schlangenhaut. Ich sehe lebendig, wie das Licht, das hinter mir noch in flachem Winkel aus dem Westen kam, die Ufergräser beleuchtete. Griesgrämig, wahrscheinlich mit säuerlichem Gesicht, war ich ins Wasser gestiegen. Innerlich verunstaltet, voll von all dem Zweifelhaften des Tages; auch Ermelinde hatte am Telefon gar nicht warm geklungen. Beim zweiten oder dritten Schritt das Ufer hinauf war mir die Möglichkeit von Psyris klar. Wenn das kalte Wasser meiner Haut solch einen Komplex von Signalen geben konnte, die auf die Essenz der Person wirkten, die mich plötzlich ins Glückliche umpolten, dann musste das auch mit einem Muster von Signalen aus dem Elektrodensattel möglich sein. Eine Verwandlung der Persönlichkeit durch spezifische Berührung. Die Wirkung des Wassers auf den Körper war immer schon bekannt. Das ist die Wirkung der Taufe. Das Wasser wandelt.
Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen, da öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes …‘
Ich, als ein Uhling, sah nicht den Geist Gottes, aber gewandelt war ich. Ich wusste dann auch gleich einen Namen für das Gerät: ‚Baptis’. Weil das an Taufe erinnert. Aber später dachte ich, im Wort PSYRIS sei mehr Inspiration.
Ich hätte mich mit Psyris nicht beschäftigen sollen. Es hat mich gereizt, den Versuch zu machen. Auch Pharmaka können in das Gemüt eingreifen, aber nicht so gezielt, eher tollpatschig. Psyris ist differenzierter. Wie sich jedoch die Signalkomplexe in Heiterkeit oder Wut umsetzen, ist noch unklar. Die Signale sprechen eine Sprache, die ich nicht verstehe, die aber Wirkung hat. Atarax hat offenbar Programme entwickelt, die in diverse Bereiche des Glücks führen. Wahrscheinlich war auf dem Weg dahin auch mit Programmen unbekannter Wirkung gespielt worden, die vielleicht zu Irrsinn und Unglück führten. Mit Monique machten wir mehrere Anläufe. Jetzt ist sie zerstört.
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Warum liebe ich diese Frau so unabänderlich. Frau ist nicht das richtige Wort. Frau klingt wie ein Neutrum. Ermelinde ist für mich auch in diesem Alter ein Mädchen.
Die Liebe ist so unerklärlich wie die Zeit. Wenn ich verliebt bin, dann weiß ich, was Liebe ist, soll ich Liebe erklären, bin ich sprachlos. Man kann nur auf Umwegen erklären, was Liebe ist, was Trauer ist, man kann nur mit den Mitteln der Sprache, die ein Werkzeug des Verstandes ist, darauf hinweisen: ‚Damals hast du das und das erlebt, was du damals erlebt hast, das war Trauer.’ Wenn die Liebe nicht schon da war, kann man darüber nicht sprechen. Man kann einem Zehnjährigen nicht von Eros sprechen. Wenn Liebe und Trauer nicht schon vorgefallen sind, kann der Verstand mit seiner Sprache sie nicht in die Vorstellung bringen.
Der Verstand ist dem Leben übergestülpt, ein Anhängsel. Das Leben ist, was wir fühlen, hoffen und wollen. Das war schon da, bevor der Verstand die Welt betreten hat. Der Verstand ist hinzugewachsen. Deshalb wurde das Paradies verlassen. Oft wird der Verstand gehasst: er ist kalt kalkulierend, wird unmenschlich genannt. Und ist doch das Kennzeichen des Menschen. Das ist das Dilemma und die Spannung. Monique: Ihr Verstand ist weitgehend zerstört. Aber vom Leben weiß sie alles. Ihre Zuneigung wird von keinem Gedanken gehindert.